Zur Geschichte der Juden in Drensteinfurt
130 Jahre jüdisches Leben in Drensteinfurt haben Spuren hinterlassen: Zeugnisse legen das ehemalige Synagogengebäude und der jüdische Friedhof ab; auch im gesellschaftlichen Leben in Stewwert haben die ehemaligen Mitbürgerinnen und Mitbürger aktiv mitgewirkt – ob im Rennverein oder bei den Junggesellenschützen. Zu Beginn der nationalsozialistischen Diktatur waren die jüdischen Bürger Drensteinfurts recht gut in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben der kleinen Stadt integriert. Durch den Besuch der christlichen Schulen, die Mitgliedschaft in Vereinen und durch die Tätigkeit im Textil- und Viehhandel waren enge gesellschaftliche und wirtschaftliche Beziehungen geknüpft worden. Besonders das soziale Engagement für das Marienhospital in Drensteinfurt hatte den Juden die Achtung und Anerkennung der übrigen Mitbürger verschafft. Was 1941 mit der Deportation von zehn Drensteinfurter Frauen und Männern nach Riga endete, hatte (spätestens) 1811 seinen Anfang.
Jüdische Landgemeinde
Die beruflichen Tätigkeiten der Juden waren – wie in vielen anderen Regionen – eingeschränkt: Sie konnten als Handelsmann, Krämer, Kaufmann, Metzger oder Viehhändler tätig werden. Dabei war der Anteil der Jüdinnen und Juden an der Gesamtbevölkerung stets gering: 1811 zählten 11 Personen zur Gemeinde, 1872 waren es 33 Familienangehörige, 1885 stieg ihre Zahl auf 54 Personen. Der höchste prozentuale Anteil an der Gesamtbevölkerung lag im Jahr 1885 bei 3,13 Prozent. Die Mitglieder der jüdischen Landgemeinde in Drensteinfurt waren ein Spiegelbild der kleinstädtischen Gesellschaft: Es gab neben wenigen etwas vermögenderen Personen viele Menschen, die eher in bescheidenen bis armen Verhältnissen lebten.
Vor dem Untergang der jüdischen Gemeinde Drensteinfurt durch erzwungene Emigration oder Deportation gab es sechs jüdische Familien mit zwei bis fünf Personen.
Um 1870 gab es eine Blütezeit in der Landwirtschaft (etwa durch den Einsatz von Kunstdünger, den vermehrten Anbau von Futterpflanzen und die verbesserte Fruchtfolge), so dass sich auch die wirtschaftlichen Verhältnisse für die in Drensteinfurt lebenden Juden verbesserte. Zugleich profitierte die Stadt vom 1848 erfolgten Anschluss an die Bahnverbindung von Hamm nach Münster. Durch den Strontianitabbau Mitte der 1870er Jahre wuchs die Bevölkerung – und damit auch der Anteil der Juden – an. Etwa 1882 endete der Boom, weil ein künstlich hergestellter Ersatzstoff das Strontianit bei der Melasse-Entzuckerung in den deutschen Zuckerfabriken ersetzte.
Ausgrenzung, Verfolgung und Verschleppung
Mit dem Beginn der NS-Diktatur 1933 begannen die Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 mündete. Nazis überfielen fast alle jüdischen Familien in ihren Häusern, misshandelten sie schwer und trieben sie in die Synagoge, in der sie einen „Gottesdienst“ abhalten mussten. Das Innere des Gebäudes wurde verwüstet, Kultgegenstände wurden gestohlen. Wegen der dichten Umgebungsbebauung wurde die Synagoge nicht angezündet. Ende 1938 wanderte die Familie Terhoch mit 14 Personen nach Uruguay aus. Am 13. Dezember 1941 begann die Deportation der verbliebenen zehn Drensteinfurter Juden: Zwei Männer und acht Frauen wurden verschleppt. Sie erreichten das Rigaer Ghetto am 15.12.1941. Nur Herta Herschcowitsch, geb. Salomon überlebte den Holocaust und lebte später in Israel.
Synagoge
Die Witwe des verstorbenen Synagogenvorstehers, Malchen Reinhaus, kaufte 1870 das für den Bau der Synagoge bestimmte Grundstück in der heutigen Synagogengasse. Nach ihrem Tode ging es in das Eigentum der Gemeinde über. 1890 wurde die kleine jüdische Gemeinde selbstständige Einheit, war also bei der Ausrichtung von Gottesdiensten nicht mehr auf Nachbargemeinden angewiesen.
Der Bau mit 68 Quadratmetern und einer Seitenlänge von 8,25 Metern hat einen besonderen Charakter und ist eine der wenigen Synagogen in Westfalen, die weitgehend unverändert erhalten geblieben ist. 1988 wurde die Stadt Eigentümerin der Synagoge, die das Gebäude restaurierte, so dass die Wiederherstellung des kleinen Gebäudes am 9. November 1992 gefeiert werden konnte. „Für die eindringliche und behutsame Wiedergewinnung eines kleinen, aber wichtigen Denkmals jüdischer Tradition in Westfalen als Kulturstätte mit erinnerndem und mahnendem Charakter“ wurde das Kleinod mit einer Ehrenurkunde der europäischen Organisation „Europa Nostra“ ausgezeichnet.
Aktuell bietet der Erinnerungsort Raum für Veranstaltungen, Ausstellungen und andere kulturelle Ereignisse.
Jüdischer Friedhof
Spätestens seit 1826, vielleicht aber auch schon früher, konnten die Drensteinfurter Juden ihre Verstorbenen auf ihren eigenen Friedhof an der ehemaligen Hammer Chaussee bestatten. Heute stehen 27, zum Teil stark verwitterte Grabsteine auf dem Begräbnisplatz. Ein Vergleich mit dem Register der Todesfälle ergibt, dass rund 37 Grabsteine fehlen. 1982 wurde der Friedhof in die Denkmalliste der Stadt Drensteinfurt aufgenommen. Der älteste erhaltene Grabstein stammt aus dem Jahr 1853. Der jüngste von Werner Terhoch. 1891 erfolgte eine Erweiterung, da der Begräbnisplatz für die zu dieser Zeit stark anwachsende Gemeinde zu klein geworden war. In den Jahren 1936 und 1937 wurde der Friedhof von Nazis verwüstet. Dem Vernehmen nach sollen in dieser Zeit Grabsteine entwendet worden sein, um Grabenböschungen damit abzustützen. Die letzte Beerdigung auf dem Friedhof vor dem Holocaust fand am 12. März 1929 statt.
Synagogenverein Drensteinfurt
Der Synagogenverein Drensteinfurt ist unabhängig und überparteilich tätig. Sein wichtigstes Ziel ist es, Erinnerungskultur möglich konkret erfahrbar zu machen, insbesondere für Schülerinnen und Schüler. Einzelschicksale (Beispiel: Stolpersteine für Emma und Helene Terhoch) lassen das Leben der früheren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger nachvollziehbar werden.
Die Ablehnung von extremistischen Positionen verbindet die Mitglieder des Synagogenvereins. Die ehemalige Synagoge ist kein Ort für tagesaktuelle Auseinandersetzungen, sondern sie dient dem Austausch, dem Dialog und der Erinnerung – insbesondere an die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und
Mitbürger in Drensteinfurt. Der Synagogenverein wirkt aktiv an der Deeskalation von gesellschaftlichen Konflikten mit und fördert alle Initiativen, die dazu dienen, dass Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholt werden.
Die Erläuterungen basieren auf dem Werk von Dr. Sabine Omland „Zur Geschichte der Juden in Drensteinfurt 1811-1941“.